Montag, 20. Juni 2011

Zurück

So, das war´s. Ich habe mein Leben wieder. Und das neue ist schöner als das alte. Nicht dass die Tests ergeben hätten, es ist gar kein malignes Melanom. Ganz im Gegenteil. Aber lasst mich der Reihe nach berichten.

Die Erregung in der Nacht und vor der Sprechstunde hielt sich in Grenzen. Ich fühlte Gottes Nähe und Hilfe. Der Impuls auf der Fahrt und in der Klinik war: es geht nicht um den Körper. Später wurde mir auch bewusst, wie widersinnig es ist, an die Transformation der Erde und ihren Aufstieg in eine höhere Dimension zu glauben und sich dabei Sorgen um den materiellen Körper zu machen.

Es waren etwa 60 Personen im inneren Wartebereich, die Hälfte wohl Begleitpersonen, aber wir hatten den Eindruck, dass wir vorgezogen wurden. Wenn ich auch der einzige Ausländer war, so fühlte ich mich stets in gleicher Weise behandelt wie jeder andere Patient auch. Man ist dennoch etwas wie ein bunter Hund und das Personal tut sich nicht einfach, den Namen zu nennen oder sich in Englisch auszudrücken. Die unvermeidlichen Tests zu Beginn dienen in erster Linie als Einnahmequelle. Obwohl ich mich bemühte, still zu halten und nicht zu zucken, als die Luftstöße auftrafen, lagen die Augendruckwerte bei 26 bis 30 mmHg. Dr.Usanee maß dann selbst mit ihrem Tonometer nach und der Wert ergab gute 18. Wir waren nach kurzer Wartezeit zu ihr gerufen worden, wenngleich wir zuerst vor Dr.Wasee´s Zimmer warten sollten.

Dr.Usanee fragte viermal: How are you today?, aber mehr als: It´s okay! bekam sie nicht zur Antwort. Sie überreichte uns gleich eine CD mit den Fotos aus der Pathologie und die „offiziellen“ Befunde aus der Histologie und der Immunhistochemie. Ich hatte ihr zwei Tage nach der Kryo eine harsche Email geschrieben, in der ich verlangte, dass bei einer solchen Diagnose Arzt und Patient auf dem selben Informationsstand sein müssen. Bis jetzt hätte ich keinen schlüssigen Beweis. Diesen mit englischen Fachwörtern gespickte Befund hätte jeder Student aus dem Lehrbuch abschreiben können und jeder Lehrer würde ihn bestätigen, um ihn nicht zu blamieren. Was mir fehlt, sind die Aufnahmen unter dem Mikroskop, die dann auch ein anderer Pathologe begutachten kann. Ich zahlte für das Röntgen, schrieb ich, und bekam ein großes Bild, ich bezahlte für die Ultraschall und bekam einige Aufnahmen, ich bezahlte für die histologische Untersuchung und erhielt einen lausigen Befund. Ich bezahlte 2040 Baht für die Einfärbung und erwarte nun aussagefähige Bilder, denn für 100 Baht könne jeder schreiben, die Reaktionen wären positiv oder negativ. Schon der gesunde Menschenverstand hätte da Zweifel. Ich appellierte auch an den Ruf der Klinik.

Dr.Usanee kommentierte die übergebenen Berichte nicht weiter. Sie erschien überhaupt zurückhaltender und sprach fast mehr in Thai als in Englisch. Sie fuhr wie erwartet in ihrem Programm fort. Eine Biopsie von Lymphknoten sei zu diesem Zeitpunkt zu risikoreich, sie möchte jedoch einen Termin für eine Ultraschalluntersuchung derselben im Halsbereich machen. Ich sprach mich dagegen aus. Sollte sich dabei eine Auffälligkeit finden, ginge die Sache weiter, und wenn man nichts findet, wird man sagen, es kann noch was kommen. Ihre Antwort war etwas diffus: wenn man jetzt die Untersuchung nicht mache, habe man keinen Vergleichspunkt, wenn man später etwas feststellt. Sie würde auch nur die Empfehlung dazu geben. Meine Frau und ich sprachen uns kurz ab und stimmten dann schließlich dieser als der letzten Maßnahme zu. Gegen einen Kontrolltermin in vier Wochen hatten wir sowieso nichts einzuwenden. Dr.Usanee hatte sich das Auge angesehen und eine „inflammation“ festgestellt, eine Reaktion wie bei einer Entzündung. Sie empfahl, die künstlichen Tränen weiterhin alle zwei Stunden zu nehmen und würde evtl. andere Augentropfen verschreiben. Aber das und die Überweisung zur Ultraschall überließ sie ihrer Kollegin. Ich bat sie noch, das rechte Auge zu überprüfen, doch hier war alles normal, auch die Äderchen, die mir aufgefallen waren.

Sonst war sie gewohnt entgegenkommend. Sie wollte keine leere CD von mir nehmen und auch die 40 Baht nicht haben, die sie zuvor für die Einfärbung selbst drauf gezahlt hatte. Meine Gattin war davon ausgegangen, dass eine Schwester dies getan hatte, und hielt einen Umschlag bereit. Zudem hatte sie für alle drei Frauen Ferrero Rocher in Plastikboxen gekauft. Ihre selbst verpackten Geschenke wurden gerne angenommen.

Während wir vor Dr.Wasee´s Sprechzimmer warteten, sah ich mir die Berichte an. Sie waren wie der erste pathologische Befund von dem selben Pathologen erstellt. Die Resultate der immunhistochemischen Untersuchung beschrieb er einfach: S-100: positiv, HMB-45: positiv, Melan A: positiv. Keine Nennung von Zelltypen, keine Klassifizierung oder Abgrenzung zu anderen Tumoren. Unter den Bericht setzte er die selbe Diagnose wie beim ersten Mal. Nur schrieb er statt: Tumor, Verdacht auf malignes Melanom, einfach: malignant melanoma. Diesen Befund übernahm er als Anhang in den „offiziellen“ pathologischen Report, mit der wortgleichen Diagnose. Inzwischen versetzt mich aber das Wort „malignant melanoma“ in ebenso großen oder keinen Schrecken wie das Wort „Kaninchenfell“. Wenigstens habe ich die bildlichen Darstellungen der Zellen auf CD und ich werde sie von einem anderen Pathologen begutachten lassen.

Dr.Wasee fragte in ihrer leisen Art nach dem Befinden und nach Beschwerden und meinte nach der Ansicht des Auges, es sei noch gerötet und gereizt. Ich solle die bisherigen Augentropfen nur noch morgens und abends nehmen. Vielleicht lag da eine der harmloseren Nebenwirkungen vor, die im deutschen Online-Beipackzettel standen: verzögerte Wundheilung. Sie verschrieb aber gleich neue, damit wir nicht extra reinkommen mussten. Ihre geringe Honorarforderung bei der Kryo wurde von keiner Seite erwähnt. Es kann sein, dass beide Ärztinnen einsehen, dass die Befunde und die Diagnose auf wackligen Beinen stehen, und wollen keine Regressforderungen provozieren. Vielleicht wurde mir auch deshalb der Befund nicht gleich bei der Kryo mitgegeben.

Eine Schwester wurde beauftragt, sich um die Überweisung zur Ultraschall zu kümmern. Aber dazu mussten wir eh selbst in den 4.Stock. Dr.Wasee schrieb jedoch den Namen einer kompetenten HNO-Ärztin auf einen Zettel. In vier Wochen wird sie selbst nicht anwesend sein. Deshalb eilte sie davon, um ihre Kollegin zu fragen, ob ein Termin in drei Wochen recht sei. So werden wir die Beiden am 10.Juli wieder sehen. Auf dem 4.Stock konnten wir später erst einen Termin in der Woche nach den Parlamentswahlen am 3.Juli bekommen. Wir entschieden uns für späten Nachmittag des 6.Juli. Hoffentlich bleibt es nach diesen entscheidenden Wahlen ruhig im Land!

Zu zahlen hatten wir neben den üblichen 120 Baht zweimal 300 als Arzthonorare und 70 (1,60 Euro) für die Augentropfen, zusammen also ca.18 Euro. Wir speisten natürlich im nahen Fuji. Ich bestelle nun immer das Kindermenü. Es schmeckt mir und es reicht mir. Danach fuhren wir wie geplant mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof und von dort mit dem Bus Nummer 7 für 7 Baht zur Endstation, wo Schwager und Schwägerin wohnen. Einmal im Monat möchte meine Gattin hier das Grab ihrer Mutter besuchen. Anschließend ließen wir uns vom Schwager mit seinem kleinen Personenbeförderer zum Sanam Luang 2 bringen, einem riesigen Wochenendmarkt. Meine Gattin kaufte sich zwei Kakteen von ihrer Lieblingsart “Condo“. Und ich bekam Durst auf eine große Flasche Bier. Das Eis im Plastikbecher verwässerte es ein wenig. Ich fühlte mich frei und bestätigt. Im Innersten konnte ich nie an einen bösartigen Tumor mit Metastasen glauben. Dieses Gewächs an meinem Auge war nicht aus einer braunen Veränderung einstanden, sondern inmitten von Äderchen. Wenn jetzt noch ein Pathologe bestätigen würde, dass sich aus den Aufnahmen nicht unbedingt die Diagnose eines malignen Melanoms ergeben würde, wäre das Glück perfekt.

Es hat also einige Aufregung und schlaflose Nächte gegeben, aber letztlich habe ich nur profitiert. Das Röntgen hat bestätigt, dass das Herz am rechten Fleck ist, in normaler Größe, und dass die Lunge ohne Auffälligkeiten ist, obwohl ich eine lange Raucherkarriere hinter mir habe und erst vor drei Jahren damit aufhörte. Wichtig war mir der Zustand der Bauchaorta, nachdem mein deutscher Schwager in Chiang Mai im letzten Jahr an einer geplatzten Aorta verstorben war. Aber alle inneren Organe sind ohne negativen Befund bis auf die „fatty“ Veränderung der Leber. Doch ich lebe nun gesünder, bewege mich mehr, will auch wieder den Pool benutzen und esse weniger. Das Ganze war ein Weckruf, ein Start in ein neues Leben.

Eine Stunde brauchten wir bis zum Hauptbahnhof Hualampong. Von dort ging es wieder mit MRT und Airportlink nach hause in unsere ruhige Siedlung. Das bisschen Kopfweh kam nicht vom Bier, sondern von der Fahrt im offenen Bus.

Noch was Anschauliches, das Auge einen Tag nach der Entfernung des Pickels.

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