Freitag, 3. Juni 2011

Die Diagnose

Obwohl wir uns mit der Anfahrt Zeit ließen und noch an der Silom einen Kaffee tranken, waren wir schon um 7.30 Uhr im Wartesaal und ich kam sogar schon vor halb neun dran. Wieder wurde schnell der Augendruck und die Sehschärfe gemessen, gefolgt von einem kurzen Sehtest. Dr. Usanee begrüßte mich freundlich. Das Ergebnis der histologischen Untersuchung aus der Pathologie des Chula lag ihr vor. Sie machte ein ernstes Gesicht. Eigentlich hatte ich einen positiven Befund eines gutartigen Tumors, eines Hämangioms, also eines Blutschwämmchens erwartet, wie er mir schon aus meiner linken Handfläche herausgeschnitten worden war. Sie hatte gleich nach der OP von einer 50/50 Chance gesprochen und auch kurz angedeutet, wie eine weitere Behandlung bei einem negativen Befund aussehen würde. Aber dafür hatte ich zum damaligen Zeitpunkt keine Ohren.

Der Befund beschreibt das Gewebestück, zählt gefundene Zellen und deren Eigenschaften auf und kommt zu dem mir nicht einleuchtenden Ergebnis, dass es sich um ein Karzinom handele mit Verdacht auf ein bösartiges Melanom. Er betont, dass an den Rändern keine Tumorzellen zu finden sind und empfiehlt eine immunohistochemische Untersuchung zur eindeutigen Diagnose. Ich war zunächst ziemlich aufgewühlt. Auch Dr. Usanee war mit dem Report nicht zufrieden. Man muss den Verdacht begründen und eingrenzen können. Sie telefonierte deshalb mit der Leiterin der Pathologie, die an der Untersuchung selbst nicht beteiligt war, und bat um eine nochmalige Überprüfung. Bis Dienstag würde die „Ajahn“, die Professorin, den Befund vorlegen können. Ich holte meine Frau hinzu. Dr. Usanee taste meinen Gesichtsrand und meinen Nacken nach Lymphknoten ab, da der Tumor gestreut haben könnte oder seine Entstehung in einem anderen Körperteil haben könnte. Sie fand nichts und auch in der Spaltlampe sah das Auge eine Woche nach der OP viel besser aus. Die Wunde sei bis auf 10% geschlossen. Sie machte wieder Aufnahmen. Später bat ich sie, diese mir zu überlassen. Ich hatte einen USB-Stick dabei, aber Dr. Usanee hielt es ohne Umstände für besser, mir beim nächsten Mal die Bilder auf eine mitgebrachte CD zu brennen.

Als weitere Therapie sah sie eine Kryo vor. Ich musste auch zuerst nachfragen. Um sicher zu stellen, dass keine Krebszellen im Auge zurück geblieben sind, sollte der Rand und der Boden der Wunde mit Kälte behandelt werden. Sie würde sich mit ihrer Kollegin beraten und wir könnten gleich zu dieser in die Sprechstunde. Die zweite Möglichkeit der Behandlung mit Augentropfen würde sich weniger empfehlen, zumal dies einer Chemotherapie gleich käme. Ich bat sie um ihre Email-Adresse. Die Telefonnummer wollte sie uns verständlicherweise nicht geben.

Wir warteten. Vorweg, als wir um 11.30 das Hospital verließen, war meine Frau am Ende ihrer Kräfte. Nicht nur der gesunkene Nikotinspiegel und der Hunger waren Schuld. Sie besucht zwar gerne Leute im Krankenhaus, aber sie hasst es, sich dort aufzuhalten und zu warten, wobei es immer weiter zur nächsten Untersuchung und Behandlung geht, ohne dass ein Ende oder eine Heilung abzusehen wäre. Wer sich in Thailand zu einem Arzt begibt, sagt sie, setzt damit nur eine lange Reihe in Gang, ohne dass es ihm besser gehen würde. Sie fühlt sich zugegebenermaßen gar nicht wohl in diesem Land und unter ihren Landsleuten.

Von Dr. Wasee waren wir sofort angetan. Sie hat ein strahlendes, fröhliches Wesen. Begeistert lobte sie die Arbeit ihrer Kollegin. Die Bilder hatte sie bereits gesehen. Sie würde die Kryo durchführen und dafür freitags oder sehr früh sonntags im OP sein. Wir fragten nach den Kosten. So wie bei der letzten OP. Dr. Usanee war durch den hinteren Verbindungsgang auch hinzugekommen, aber mir ist von dem Gespräch kaum mehr etwas in Erinnerung. Wir sagten für nächsten Sonntag zu, wobei ich mich innerlich noch nicht entschieden hatte. Die beiden bemühten sich mir meine Angst zu nehmen, aber ich habe ja keine mehr. Ich hatte sogar daran gedacht und zuvor Dr. Usanee danach gefragt, mir die Augen lasern zu lassen. Meine Gattin meint zwar, ich sei dafür schon zu alt, aber es wäre schön, ohne die lästige Brille auszukommen, durch die ich sowieso nicht scharf sehe wenn´s ums Lesen geht. Dr. Usanee meinte, das könne man zu einem späteren Zeitpunkt erörtern, wobei es bei meiner Fehlsichtigkeit in diesem Alter nicht so einfach wäre.

Ich gab Dr. Wasee meine Email-Adresse und unsere Telefonnummern. Wir verblieben so, dass wir zuerst das Ergebnis der histologischen Nachprüfung abwarten wollten und sie uns telefonisch oder per Email in Kenntnis setzen werde. Enttäuscht und entmutigt begaben wir uns in den Eingangssaal, um auf den Aufruf zum Begleichen der Rechnung zu warten. Da holte uns eine Schwester wieder zurück. Dr. Wasee würde gerne eine Ultraschalluntersuchung machen lassen. Ich stimmte sofort zu. Ich wurde mit meiner Mappe in einen anderen Raum geschickt. Meine Gattin wurde immer unlustiger und wartete im Saal. Für mich ging es in einen Untersuchungsraum, wo ich mich auf der harten Liege ausstrecken musste. Eine geschwätzige Schwester wollte meine Frau dabei haben, damit ich nicht allein sei. Sie hielt es aber nicht so lange aus bis Dr. Wasee endlich kam, um den Test selbst durchzuführen. Denn ich musste lange warten; sitzend, denn so lange unbequem zu liegen war ein Unding. Dabei hatte ich aber Gelegenheit, meine Akte anzuschauen. Von den englischen Fachwörtern des Berichtes machte ich mir Notizen. Unnötigerweise, denn ich bekam auf meine Bitte eine Kopie. Ich sah auch an den eingeklebten Zettelchen, dass mein Augendruck an diesem Tag über dem normalen Maß lag.

Die Ultraschalluntersuchung wurde einfühlsam und rasch an beiden geschlossenen Augen vorgenommen. Weder das Auftragen und Entfernen des Gels noch das Führen des Stiftes waren schmerzhaft oder unangenehm. Dr. Wasee zeigte und erklärte mir das ausgedruckte Ergebnis. Beide Auge waren im Innern frei von Auffälligkeiten. Also keine Metastasen oder Tumore im Augeninnern. Eine weitere Schwester holte mich und wollte auch meine Frau dabei haben. Sie ging mit uns in den Verbandsraum. Ich erkannte gleich am Formular, dass es sich um die Erklärung und Terminfestlegung für die Kryo handelte. Wir protestierten. Es war abgemacht, zunächst bis Dienstag oder Mittwoch auf den 2.Bericht zu warten. Die Schwester eilte hinaus, um Dr. Wasee zu fragen. Wir mussten aber dann zulassen, dass der Termin ins Buch eingetragen und mein Strichcode eingeklebt wurde, da sonst der Termin für mich vielleicht nicht mehr frei wäre.

Die Rechnung für die Sonographie betrug 400 Baht und für die Konsultation der beiden Ärztinnen 500 Baht. Hinzu kommen die üblichen 120 Baht, sodass ich insgesamt 1020 Baht, das sind keine 24 Euro, zu zahlen hatte.

Nicht nur, dass meine Frau müde und hungrig war, ihre Nerven waren aufs Äußerste gespannt und sie explodierte, als ich sie beim Verlassen des Krankenhauses nach dem weiteren Plan fragte. In solchen Fällen bin ich gewohnt zu schweigen. So aßen wir beim Fuji ohne Unterhaltung, was vielleicht anderen Gästen seltsam erschien. Irgendwann fangen wir schließlich immer wieder an, uns über Belangloses auszutauschen und über das ursächliche Geschehen wird nicht gesprochen.

Sie war unschlüssig, wohin wir gehen sollten. Einkaufen brächte ihr wohl etwas Freude zurück, und wenn es nur der Großmarkt Macro in Bangkapi sein sollte. Aber schließlich entschieden wir uns, nach hause zu fahren. Wir taten dies mit dem BTS nach Phayathai, wo der Airportlink endet und beginnt. Sie meinte zwar beim Umsteigen am Siam, wir könnten doch ins Paragon gehen, aber wir ließen es dann bleiben.

Zu hause suchte ich im Internet nach den Übersetzungen für die englischen Fachausdrücke des Berichtes und nach weiteren Informationen, die zu meinem Fall passten. Die Untersuchung hat am Montag, also zwei Tage nach der Entfernung der stets roten Wucherung stattgefunden, spricht aber von einer braunen Gewebeprobe. Schon dies und andere Darstellungen im Netz über Augentumore veranlassten mich, die Diagnose als falsch abzulehnen. Ich kam auch zu der Einsicht, dass eine Kryo nicht nötig sei und wohl mehr Schaden an meinem Auge anrichten würde. Ich beschloss, den Termin abzusagen. Aber zunächst mussten wir die Rückmeldung der Ärztinnen abwarten.

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