Donnerstag, 9. Juni 2011

Der Stockhieb des Meisters

Laut dem Befund der pathologischen Untersuchung der heraus geschnittenen Wucherung an seinem linken Auge leidet H. an einem malignen Melanom der Bindehaut. also an einer seltenen, aber tödlichen Form des bösartigen schwarzen Hautkrebses. Die üblichen weiter angewandten Diagnoseverfahren sind nach dem Röntgen des Thorax und der Ultraschalluntersuchung des Oberbauches die immunhistochemische Einfärbung der Probe mit den Proteinen S100, HMB-45 und Melan-A - dies wurde gestern in Auftrag gegeben, nachdem beim Ausstellen des Anforderungsformulars am Sonntag ein Fehler aufgetreten ist -, weiter die Abklärung der Ausbreitung im Körper durch Kontrolle der Lymphknoten - eine Biopsie von Wächterlymphknoten hält Dr.Usanee in ihrer letzten Email zu diesem Zeitpunkt für zu aggressiv, da die Risiken den Nutzen übersteigen. Sie schlägt eine Ultraschalluntersuchung der Lymphknoten am Hals vor -, sowie evtl. CT und natürlich laufende Überwachung. Die therapeutischen Maßnahmen sind nach der operativen Entfernung die Kryo, also das Zerstören evtl. noch vorhandener Krebszellen an der operierten Stelle, eine Bestrahlung und/oder die Chemotherapie, also zunächst die lokale Gabe des Zytostatikums Mitomycin C, dann sonstige Chemotherapie oder Gewebeentfernungen je nach Fund von Metastasen.

Die Resultate von Röntgen und Ultraschall ergaben, dass der Zustand von Lunge und aller inneren Organe des Oberbauches völlig normal sei. Ausgenommen eine „fatty“ Veränderung der Leber, jedoch ohne weitere Auffälligkeit. Dies könne mit Diät und Bewegung wieder in Ordnung gebracht werden, meinte der untersuchende Arzt.

Wie erwähnt hätte eigentlich das Ergebnis der immunhistochemischen Einfärbung gestern vorliegen sollen. Aber da ist etwas schief gelaufen. D. wurde auf ihrem Zweithandy angerufen (sie hatte die Nummer vielleicht von Dr.Wasee aus ihrem Büchlein abschreiben lassen), sie sollten sofort in die Klinik kommen und für die IHC bezahlen, weil diese erst durchgeführt werden kann, nachdem das Anforderungsformular eingegangen ist. Die Ärztin hätte schon nach dem Resultat gefragt. Von halb fünf bis sechs Uhr wurde nun dieses Formular in der Station herumgereicht und die beauftragte Schwester war nicht fähig, das Problem zu lösen, das sie selbst verursacht haben könnte. Zunächst versuchte sie vergebens die beiden Ärztinnen zu erreichen. Sie wurde recht pampig und meinte, sie sollten morgen wieder kommen und bezahlen. D. war am Ende ihrer Geduld. H. ging alleine runter zu seinen Untersuchungen. Schließlich gab D. die erforderlichen 2000 Baht einer Schwester ohne Quittung. Es war wohl so, dass ein falscher Code angebracht worden war und H. und D. damit für jemand anders die 72 Baht bezahlten und das Formular ausgehändigt bekommen haben.

H. lächelte sich derweil im 4.Stock durch. Erst musste er bezahlen und wurde dann gleich zu den Behandlungsräumen gebeten. Nur wenige Patienten warteten mit ihm. Ein Helfer reichte ihm ein Krankenhemdchen und zeigte ihn eine Umkleidekabine. Das Zubinden der vielen Schleifen dauerte länger als das Röntgen danach. Eine junge Schwester positionierte ihn an die Wand, einmal tief einatmen, fertig. Während er kurz auf die Ultraschall wartete, bei schöner Aussicht auf die Kreuzung Silom/RamaIV, gesellte sich D. zu ihm, höchst verärgert über das Verhalten der Schwester. Als dann noch später beim Verlassen der Klinik ein Mann, der auf einer Steinbank lag und an dem sie vorbeiging, eine unflätige Bemerkung machte, war ihr Urteil über die Bevölkerung wieder bestätigt. „Nur fünf von hundert sind gut.“ sagte sie.

Die eigenartige Schwester, die sie am Sonntag beim Terminmachen kennengelernt hatten, führte H. in eine der Untersuchungskabinen. Er musste sich auf der Liege ausstrecken und sie wickelte ein großes, weißes Handtuch in seinen Hosenbund und deckte ihn mit einem ebensolchen zu, nachdem sie sein Hemd hoch geschoben hatte. „Do you speak Thai? I speak little English.“ Die Wartezeit war lang. Einschlafen war beim Summen der Klimaanlage nicht möglich. Als der junge Arzt kam, fragte H. ihn sogleich, ob er ihm die Befunde gleich mitteilen würde. Er stimmte zu und fragte nach Einsicht in die Unterlagen, seit wann H. von seinem Melanom wusste. Bis auf die fettige Leber waren alle Organe normal abgebildet. Er bekam die in Englisch verfassten Ergebnisse, auch das vom Röntgen, samt allen Aufnahmen nach einer kurzen Wartezeit in einem großen Kuvert mit. Statt im Fuji aßen die beiden dann in einem kleinen Chinarestaurant. H. schmeckte seine Nudelsuppe und natürlich hatte er nach der langen Abstinenz großen Durst.

Die zwei sind sich darüber einig, dass nach der Kryo am Samstag die Krankheit kein Thema sein wird und sie keine weiteren Diagnose- und Therapieverfahren mehr zulassen werden. Die Kryo soll das Risiko des Wiederauftretens vermindern und kann evtl. die noch vorhandene Narbe beseitigen. Dr. Wasee ist von der Arbeit ihrer Kollegin auch deshalb so begeistert, weil diese so geschnitten hatte, dass laut pathologischem Befund die Ränder frei von Tumorzellen sind. Die Ärztinnen sind überaus besorgt und dabei sehr liebenswürdig. In der letzten, von beiden unterzeichneten Mail am Morgen ließ Dr.Usanee wieder das Mister weg, entschuldigte sich tief für die Ungemach mit der Rechnung und wünschte gute Informationen.

Die ganze Geschichte, das immer wieder kehrende Thema, die Stunden in der Klinik machen auch D. krank. Für H. ist dies wie der Stockhieb des Meisters, der ihn aufweckte. Sein Leben ist verändert. In den letzten Monaten saß er stundenlang am PC, war faul und ließ sich gehen. Das Sofa hat an seinem Platz eine Delle. Nun hat nicht nur sein Geldbeutel, sondern auch sein Bauchumfang und sein Ego abgenommen. Das Niederschreiben der Geschehnisse und Empfindungen lässt ihn alles verarbeiten und als Erinnerung ablegen. Da dies aber mehr den Charakter von Tagebucheintragungen angenommen hat und wohl nur sehr wenige Menschen Zeit zum Lesen und Verständnis aufbringen, wird dies vielleicht der letzte Eintrag sein.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

So, jetzt aber mal langsam.
Du wirst gefälligst noch eine ganze Weile unter uns verweilen und nicht vorzeitig gehen.
Du mußt noch die Thai-Lue und andere Völker um Chiangkham kennenlernen, Deine Zeit ist also noch nicht gekommen.

Khun Han hat gesagt…

So schnell wird es auch nicht gehen. Es wird ebenso weiter Einträge hier im Blog geben. Aber nicht zum Thema Auge und danach. Heute morgen war die Kryo, die aus Patientensicht problemlos verlaufen ist. Nun aber wird versucht, nicht mehr weiter darüber zu sprechen oder groß nachzudenken.

Vieles in diesem Leben ist anders geworden. Interessen und Bedürfnisse haben sich verändert. Dennoch: das Leben ist wunderbar!