Samstag, 17. Oktober 2009

Wie wir leben, Teil 2

Meine Frau Deng lebte 32 Jahre in Deutschland und wenn sie sagt, in unserer Heimat war alles besser, dann meint sie dieses Land. Hier sieht sie vieles kritisch. Alles Gelump in Thailand, sagt sie, wenn mal wieder ein Kleidungsstück, ein Werkzeug oder ein Gerät kaputt geht. Sie schimpft über die steigenden Preise für Lebensmittel oder wenn sie für ihre Pflanzen in einem Geschäft mehr bezahlen sollte, als im anderen. Alles Gauner! Thai Leute haben nix im Gehirn! Reden nur über Belanglosigkeiten, denken nicht an die Folgen, übernehmen keine Verantwortung, sehen keinen Schmutz, lassen alles herunterkommen, können beim Essen nicht normal sitzen und spucken auf die Straße. Sie leidet darunter, nicht wie gewohnt aussprechen zu können, was sie denkt, und dass die Anderen nicht sagen, was sie wirklich beabsichtigen. „Das ist gut für Thai Leute, aber nicht für mich!“, sagt sie, wenn sie über den Markt geht. Das Thaiessen bekommt ihr oft nicht und während sie sich früher über meine Vorliebe für japanisches Essen mokierte, bezeichnet sie dieses nun als das einzig ihr bekömmliche. Da kann sie sich richtig satt essen. Dabei wiegt sie weniger als zuvor. Nur ich werde immer dicker.

„Ich versteh´ kein Wort.“, meint sie, wenn ich sie bitte, mir die Nachrichten zu übersetzen. In vielen Dingen des öffentlichen Lebens ist sie unsicher. Es hat eine Weile gedauert, bis wir Bus und Minibus benutzen konnten. Jetzt ist stolz darauf und fährt gerne damit. Sie beklagt, dass alles schnell schimmelt und rostet, dass Lebensmittel schnell verderben und dass die Erde nicht gut ist, wenn ihre Pflanzen eingehen. Denn damit beschäftigt sie sich von früh bis spät, mit ihrem Garten. Da empfindet sie weder Müdigkeit noch Hunger. Zwischendurch kocht sie mir was zu essen oder trinkt einen Kaffee, den ich ihr bringe, aber sie hat keine Zeit, um in Ruhe eine zu rauchen. „Ich kann nicht sitzen.“ Die irgendwo im Boden steckenden Kippen sammle ich dann ein. Sie schneidet am Boden hockend mit der Schere das Gras, pflanzt laufend um, vermehrt die in über 200 Minitöpfen wachsenden Kakteen, stutzt Bäume, Sträucher und den Bambus, kümmert sich um die Bonsais und beklebt Steine mit Moos. In den Bäumen hängen unzählige Gefäße mit Efeu und Farnen, sowie wilde Miniorchideen auf Holzteilen, am Boden stehen Töpfe und Schalen in den verschiedensten Größen mit Orchideen und Kakteen und Minibäumchen, dazu bepflanzte Steine und Wurzeln und eine Vielzahl von Tonfiguren. All das muss natürlich gegossen, besprüht und gepflegt werden. Sie freut sich ungemein, wenn ihr Garten von Nachbarn und Passanten bewundert und gelobt wird. In der Tat finden ihn sogar Kinder schön. Oder ein Auto fährt vorbei und rückwärts zurück und die Beifahrerin sagt zu mir: „Your house is very nice.“

Deng hat die Gabe, dass sie mit allen Menschen gleich welchen Standes kommunizieren kann, und die Leute sprechen gern mit ihr. Sie redet mit Nachbarn, burmesischen Arbeiterinnen und Marktfrauen, mit Kindern und Alten in der selben Weise und wo sie einmal war, wird sie herzlich wieder begrüßt. Einmal wurden wir auf einem Tempelfest von einer Frau freudig angesprochen. Wir konnten uns aber nicht an das pockennarbige Gesicht erinnern. Dann fiel uns ein, dass es unsere Straßenkehrern sein muss, von der wir immer nur die Augen gesehen hatten, da sie ja nur diese unbedeckt lässt, wie die meisten Frauen, die im Freien arbeiten. Die frühere hatte von uns 500 Baht geliehen, bevor sie am nächsten Tag versetzt wurde. In Deutschland wurde Deng von den Thais ältere Schwester genannt, hier ist sie meist die Tante, was ihr nicht so gefällt. Nur Poks Freunde nennen sie Mutter. Die kommen gern zu uns und lassen sich deutsch bekochen, d.h. Cordon Bleu mit Spagetti und Lasagne. Und wir fahren mit der Clique zum Tambun nach Korat oder Ratchaburi.

Sonst trägt sie kein Geld ins Wat. Die haben genug! Oder: So ein Theater! Lieber gibt sie spontan, wo Hilfe direkt ankommt, so mal als sich 4 Jungs in einem Food Center einen Teller Reis teilten. Sie hat eine Abneigung gegen Scheinheiligkeit und übertriebene Frömmigkeit. Ihre Religiosität ist natürlich und liberal. „Jesus ist auch Gott!“ Zu Beginn unserer Ehe gehörten sonntägliche Kirchgänge mit den Eltern zum Alltag und sie begleitete mich zu Veranstaltungen der Urchristen. Ich kann mit ihr auch über meine geistigen Erfahrungen sprechen. Mit unserem Gemisch aus Deutsch, Thai und Englisch versuche ich meine Gedanken zu umschreiben, aber sie versteht mich auch so gut. Zu gut, denn sie kennt mich und hält mir gleich den Spiegel vor und verweist auf meine mangelnde Umsetzung.

Und ich kenne sie und bin ihr deshalb auch nicht böse, wenn sie mal wieder anschnauzt. „Wenn der Krieg kommt, bist Du der Erste, der verhungert!“ schimpft sie, wenn sie meint, ich warte zu ungeduldig auf das Essen. Oft bin ich der Sündenbock, wenn sie sich über jemand oder etwas ärgert. Sie ist Schütze und eben gleich auf hundert. Wir lösen das dann meist schnell in Humor auf. Nur zweimal schwiegen wir uns einen Abend lang an. Auslöser waren lediglich schnippische Antworten. Beide male im Abstand von einem Jahr waren wir dabei mit dem gleichen, befreundeten Ehepaar unterwegs und hatten so Gesprächspartner. Doch sonst freuen wir uns über die gleichen Dinge, teilen die gleichen Ansichten und denken oft zur gleichen Zeit dasselbe.

Keine Kommentare: