Mittwoch, 14. Oktober 2009

Vor Indien

In der 2.Klasse Grundschule lies mich der alte Lehrer gern zu sich kommen und stellte mir vor allen Mitschülern die Frage, was ich einmal werden möchte. Ich tat ihm dann den Gefallen und sagte: Pfarrer. Das war nie so richtig meine Absicht, aber ich entschied mich bewusst für das Internat und das Gymnasium, welches von den Salesianern geleitet wurde. Als Elfjähriger verspürte ich in dieser Barockkirche inmitten der Engelsfiguren so etwas wie einen Ruf. Dabei faszinierten mit eher fremde Religionen wie der kalte, strenge Katholizismus. Aus den Büchern Karl Mays schrieb ich die islamischen Sprachwendungen heraus und ich konnte die Unterschiede in den Riten der verschiedenen koptischen Kirchen aufzählen.

Neun Jahre verbrachte ich hinter Klostermauern, unter lauter Knaben und Padres. Ein reglementiertes Leben abseits der Außenwelt. Regelmäßige Kirchgänge, in den ersten Jahren mehrmals täglich, und wenig Privatsphäre. In der Erinnerung blieben öde und einsame Wochenenden. Ich war ein durchschnittlicher, ruhiger, aber nicht immer angepasster Schüler. Ich fühlte die Flowerpower der Hippies und kleidete mich entsprechend, war gegen den Vietnamkrieg und verehrte Che Guevara. Ich war unter den ersten, die lange Haare und Bärte trugen und heimlich Pfeife rauchten. Ein Ausbruchsversuch nach 7 Jahren, bei dem ich in ein Heim nach Bamberg wechseln wollte, wurde vom Direktor verhindert.

Ich engagierte mich in der Schülermitverwaltung und im politischen Arbeitskreis. Den weiteren Besuch von Versammlungen der Kommunistischen Partei in der Kreisstadt verbot die Heimleitung. Auch sonst gab es manche Konflikte. Als ich einmal die Frage nach dem Warum einer Anordnung stellte, schrie mich der Pater an: „Weil ich dein Vorgesetzter bin!“ Bei einem der jährlichen Bundesjungendspiele trat ich nicht zum Schwimmen an. Als der Schulleiter mich stellte, entschuldigte ich mich mit Unpässlichkeit und sagte dazu: „Und im Übrigen geht mir das Ganze gegen den Strich.“ - „Du gehst uns auch gegen den Strich!“ rief er, nachdem er die Fassung wieder erlangt hatte. Dafür bekam ich eine 4 für Sport ins Reifezeugnis.

Aber ich las nicht nur revolutionäre Bücher, sondern auch philosophische und religiöse. Es war eine Zeit des Aufbruchs und der Neuerungen in der Gesellschaft (die 68er) und in der Kirche (Konzil). Doch die Antworten der Kirche genügten mir nicht. Formeln wie „Geheimnis Gottes“, „Erlösung am Kreuz“ und „Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat´s genommen.“ stießen mich ab. Ich sah, wie die Padres Barmherzigkeit predigten und Gewalt ausübten. Ich zog mich zurück. In einem Raum hinter der Orgel zündete ich öfters Räucherkerzen an und betete darum, dass Gott sich mich offenbarte.

In der Kreisstadt durfte ich einen Yoga-Kurs machen und ich begann über Hinduismus zu lesen. Das Leben und die Gotteserfahrungen von Aurobindo, Ramakrishna und Yogananda faszinierten mich und der Glaube an die Wiedergeburt und dass Atman eins ist mit Brahman erschienen mir einleuchtend. Mehrmals besuchte ich in Winterthur das Divine Light Zentrum um Swami Omkarananda. Als ich den Fernsehfilm sah „Die Reise nach Kathmandu“, stand mein Entschluss fest. Ich wollte zum Mittelpunkt der Erde, nach Indien. Bevor ich irgendeinen Beruf ergreife oder anfange zu studieren, musste ich zuerst den Sinn des Lebens finden. Ich war bereit, alles hinter mir zu lassen und bei einem Meister im indischen Dschungel zu leben.



Abiturklasse 1972

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