Freitag, 23. Oktober 2009

In Indien

Wenn ich mich jetzt nicht hinsetze und weiter über meine Zeit in Indien schreibe, kann es sein, dass ich vorher die Erleuchtung erlange und dann noch weniger Interesse an meiner Vergangenheit habe. Denn obwohl ich nicht danach strebe, arbeite ich weiter an der Erleuchtung. Eigentlich ist es umgekehrt. Es gibt nichts zu erlangen und unser wahres Selbst arbeitet daran, sich von der Bürde und der Umhüllung des Menschen zu befreien.

Ich flog also im Januar 1973 über Amsterdam mit einem One-way-ticket der Air India nach New Delhi. Zuvor hatte ich eine Abschiedstour bei Verwandten gemacht. Meinem Vater brach fast das Herz. Doch für mich ging es um Leben oder Tod.

Außer den drei Stätten, an denen die indischen Weisen gelebt hatten, von denen ich gelesen hatte, also Pondicherry, Puri und Dakshinesvar, hatte ich noch einen Anlaufpunkt. Meine Oma hatte die Ausbildung eines Priesters bezahlt und der schickte eine Ordenschwester, um mich in Empfang zu nehmen. Sr. George war eine liebenswürdige kleine Inderin und mit ihr besuchte ich die Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt wie das Red Fort und die Begräbnisstätte Mahatma Gandhis. Schlafen konnte ich in den Räumen der indischen Bischofskonferenz. Mit meinem Schulenglisch verstand ich zwar das Meiste, aber es fiel mir schwer, mich auszudrücken. Da ich aber dazu gezwungen war, änderte dies sich rasch.

Vom wirklichen Leben hatte ich im Internat nichts gesehen. Nun erschrak ich über die Armut, über die Menschen, die sich in der kalten Nacht am offenen Feuer wärmten, über die Leprakranken, die ihre Glieder bettelnd hinstreckten. Auf der Zugfahrt zu dem Priester trank ich zögernd erdfarbenen Tee aus roten Teeschalen, die einfach weggeworfen wurden, und hörte dem blinden Sänger zu, der mit seinem Stock den Takt zu dem uralten Lied stampfte. Ich lernte das Leben kennen und den Tod. Sah viele Feuer an der Verbrennungsstätten. War dabei, als der Inhaber des Teelokals an seinem Todestag verbrannt wurde. Und am nächsten Tag stand der Sohn an seiner Stelle.

So fremd und abenteuerlich die ersten Tage auch waren, mir wurde geholfen. Nach 32 Stunden Zugfahrt und 20 km auf dem Motorrad kam ich auf der Missionsstation in Malkaroda bei Pater Puthenkandam an. Dort fand eine Einweihungsfeier für das neue Krankenhaus statt, zu der viele Ordensleute und ein deutscher Bischof zusammen kamen, und die mich weiterreichten zu Patres in Nagpur, wo ich den Zug nach Pondicherry bestieg. Ich habe kein Tagebuch geführt, aber zum Glück sind die Briefe erhalten geblieben, die ich nach hause schrieb. Darin klagte ich anfangs über den Staub, den Schmutz und die Moskitostiche, doch in naiver Weise war ich glücklich und voller Hoffnung.

1 Kommentar:

benem.de hat gesagt…

Finde Deinen Blog sehr bemerkenswert, sehr ungewoehnlich und deshalb interessant.

Ich lese hier sehr gerne.

Gruss:
Ben